Tunesien-Liebe

Die Familie in Tunesien

Tradition - Unterhalt - Rollenmodelle - Arrangierte Ehen



Traditionelle Familie

Die traditionelle tunesische Familie folgt alten historischen Mustern und ist ein wesentliches, bestimmendes, Element der Gesellschaft in Tunesien.

In Tunesien hat die Agrarwirtschaft eine lange Tradition. Land wurde vom Familienverband bewirtschaftet und die Produkte wurde gegen andere getauscht bzw. verkauft.

Die Familienmitglieder halfen sich untereinander im Rahmen der engeren Familie, in der erweiterten Familie und im Dorfverband, die sozialen Beziehungen waren daher stets überschaubar und zuvorderst von wirtschaftlichem Profit geprägt.

Ebenso, wie auch in anderen Gesellschaften dieser Art, waren Familienerweiterungen durch Heirat ein wirtschaftliches Unterfangen, die idealerweise mit einer Vergrößerung von Land, Ertrag und Einfluß in der Dorfgemeinschaft einhergingen.

Wesentliche Elemente dieser historischen Struktur sind auch heute noch in Tunesien erhalten und haben, speziell in ländlichen Gegenden, einen erheblichen Einfluß.

Zwei der bedeutendsten Elemente davon, die auch heute noch weitverbreitet sind, sind die arrangierte Ehe und die Versorgungspflicht (Unterhalt).


Versorgungspflicht

Zwar gibt es in Tunesien heutzutage ein Sozialsystem, das z.B. Kindergeld- und Rentenzahlungen und, zumindest in der Theorie, Zuwendungen an Bedürftige vorsieht, doch nach europäischem Maßstab ist dieses System kaum ausgeprägt oder funktional.

Nach wie vor sind daher die meisten Tunesier darauf angewiesen, daß sich ihre Familie um sie kümmert - und zwar die Geschwister um kleine Kinder und die Jungen um die Alten. Hierbei handelt es sich um einen sehr starken sozialen Imperativ, also um einen Zwang, dem sich nur die allerwenigsten Tunesier entziehen können oder auch nur wollen.

Geld- und Sachzuwendungen der Söhne an die Eltern und sogar die Großeltern werden, sofern sie nicht ohnehin gesetzlich als Unterhaltspflicht festgelegt sind, als soziale Pflicht empfunden und dienen der "Rückzahlung" der Aufwendungen, die die Eltern für die Aufzucht der Kinder hatten. Die Töchter einer Familie helfen der Mutter in Haushaltsangelenheiten, kümmern sich um kleiner Geschwister und die Kinder in der erweiterten Familie, oft auch noch nach ihrer eigenen Heirat.


Rollenmodell

Es hat sich in der tunesischen Gesellschaft im Laufe der Geschichte das folgenden Rollenmodell herausgebildet, das, speziell in ländlichen Gebieten und bei Familien mit geringerem sozialen Status, auch heute noch bestimmend ist:

Der tunesische Mann ist das Oberhaupt der Familie. Er ist (und zwar auch gesetzlich) ohne Einschränkung dazu verpflichtet, für seine Frau und Kinder die zum Leben notwendigen Dinge bereitzustellen (Wohnung, Essen, Kleidung, medizinische Versorgung).

Der Wirkungsbereich der tunesischen Frau ist das Haus. Sie kümmert sich - im Gegenzug für die Versorgung durch den Mann - darum, daß es stets sauber ist und sorgt dafür, daß alle Familienmitglieder ihre Mahlzeiten erhalten, wobei die Arbeiten dazu aus Gründen von Tradition und geringerer Elektrisierung des Haushaltes um vieles zeitaufwendiger sind, als in Europa. Darüberhinaus ist sie für die Erziehung der Kinder, doch auch für die (Mit)Sorge um etwaige Landwirtschaft, zuständig.

Die Frau soll zwar, wenn es ihr möglich ist, finanziell zum Familienunterhalt beisteuern, in der Realität aber findet dies so gut wie nie statt und sie kann über eventuell selbst verdientes Geld frei verfügen.

Tunesische Kinder werden je nach Geschlecht unterschiedlich behandelt.
Söhne sind in ihren Handlungen relativ frei und nehmen im Familienverband eine höhere Stellung ein, als die weiblichen Mitglieder.
In der Abwesenheit des Vater (Familienoberhauptes) übernehmen sie bzw. der Onkel (Bruder des Familienoberhauptes) dessen Aufgaben.

Töchter werden konsequent auf ihre späteren Aufgaben in einer Familie vorbereitet und übernehmen schon früh wachsende Verpflichtungen im Haushalt der Eltern.

Sowohl Söhne, als auch Töchter, erhalten eine Schulbildung, wobei es sich zeigt, daß Töchter dazu tendieren, länger die Schule zu besuchen und höhere Abschlüsse anzustreben.
Allerdings dient die Studienzeit vielen Mädchen dazu, die Zeit bis zur Hochzeit und der dann folgenden traditionellen Rolle in der eigenen Familie zu überbrücken.

Praktisch wird das auch dadurch begünstigt, daß für Frauen weniger hochwertige Arbeitsplätze als für Männer zur Verfügung stehen, so daß, selbst wenn die Frau nach ihrer Ausbildung arbeiten will, sie oft lange nach einem Arbeitsplatz suchen muß - und sich deshalb oft gleich und frühzeitig für die traditionelle Frauenrolle entscheidet.


Arrangierte Ehen

In Tunesien ist vielfach die sogenannte "arrangierte Ehe" anzutreffen, besonders in den eher traditionell orientierten Gegenden und Bevölkerungsgruppen.

In einer arrangierten Ehe haben, im Gegensatz zu der in einigen anderen Ländern noch anzutreffenden "Zwangsehe", die Ehepartner das Recht, die Hochzeit mit dem anderen abzulehnen. Ansonsten allerdings unterscheiden sich Zwangsehe und arrangierte Ehe nur in Nuancen.

Das Ziel einer solchen Ehe ist es, einen angemessenen Partner für ein Familienmitglied auszusuchen. Und da dies meist am besten gelingt, wenn sich sowohl die zukünftigen Eheleute bereits kennen, weil sie aus einer ähnlichen sozialen Schicht stammen und sich zudem auch die Familien der Eheleute bereits kennen und damit einschätzen und im Konfliktfall aufeinander einwirken können, ist der ideale Partner in den meisten Fällen ein Mitglied der erweiterten Familie.

Cousins und Cousinen zählen daher, wie in vielen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas, auch in Tunesien zu den bevorzugten Ehe-Kandidaten.

Nach traditioneller und auch religiöser Vorgabe ist "Liebe" bei einer Eheschließung zwar ein willkommenes, doch keinesfalls ein notwendiges Element - die dort jedem bekannten Sätze "die Liebe kommt in der Ehe" und "Gott wird guten Eheleuten Liebe geben" sind hierfür kennzeichnend.
Die Idee dahinter nachvollziehbar und erscheint auch schlüssig, denn "Verliebtheit" schwindet, der Partner aber bleibt - doch Untersuchungen zeigen, daß für den langfristigen Ehe-Erfolg arrangierte Ehen keinen Vorteil oder Nachteil gegenüber freien Liebesheiraten besitzen.

Die Haupt-Motive hinter arrangierten Ehen dürfte vielmehr darin liegen, daß adäquate Partner zueinander geführt werden sollen, die vom sozialen Hintergrund zueinander passen, daß die Kontroll- und Regelungsfunktion der erweiterten Familie aufrechterhalten bleibt und daß das Gesamtvermögen der erweiterten Familie nicht vermindert wird.

Natürlich gibt es auch Ehen, die Familiengrenzen überschreiten, nicht wenige sogar, und das Interesse an "Liebesheiraten" (dieses Wort ist eher als Gegensatz zu "arrangierter Ehe", nicht im Wortsinne, zu verstehen) steigt unter jungen Tunesiern zunehmend.
In vielen Fällen jedoch wird auch da die lokale Grenze nur selten überschritten und die Partner stammen aus dem näheren Bekanntenkreis der Familien und/oder aus derselben Gegend, haben also in den meisten Fällen gemeinsame Anknüpfungspunkte.



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