Tunesien-Liebe

Auswirkungen des Islam

Erbfolge - Religionszugehörigkeit von Kindern




Zwar ist Tunesien ist ein säkularer Staat, doch die Verfassung bestimmt ebenfalls, daß Islam die Staatsreligion ist.
Die islamische "Scharia" (Einklang des Lebens mit islamischen Bestimmungen) ist also in Tunesien zunächst einmal nicht gültig, sondern nur weltliche Gesetze.
Allerdings gehen zum einen einige dieser Gesetze auf Regelungen der Scharia zurück, und zum anderen urteilen dennoch Gerichte zuweilen gemäß der Scharia, wenn diese den weltlichen Gesetzen widerspricht, also wenn ein Gesetz nicht mit dem islamischen Brauchtum und der Tradition im Einklang steht.

Unter dem Strich gesehen hat also die Scharia durchaus Auswirkungen in Tunesien, und dies hat sich bisher nach dem Umsturz in Tunesien im Jahre 2011 auch nicht geändert.

In einer binationalen Ehe betreffen diese Auswirkungen speziell die Erbfolge und das Sorgerecht für Kinder in Tunesien.


Erbfolge in Tunesien

Was die Erbfolge betrifft, so gibt es in Tunesien zwei wichtige Punkte zu beachten, da die Erfolge auch gesetzlich streng scharia-konfrom gestaltet ist:

Die Erbfolge ist für alle Tunesier zwingend gesetzlich festgelegt.

Dies gilt nicht für Paare und Personen, die keine Tunesier sind (z.B. das europäische Rentnerehepaar, das in Tunesien lebt) - hier kann vielmehr ein Testament im europäischen Heimatland gemacht werden und tunesische Besitzungen werden darin dann als "Auslandsvermögen" betrachtet.

Die Erbfolge in Tunesien ist relativ kompliziert. Kurz gesagt, erhält die Ehefrau jedoch maximal 25% des Erbes des Mannes und der Mann maximal 50% des Erbes der Frau (aber nur jeweils die Hälfte, wenn der/die Verstorbene Kinder hat).

Der Verstorbene kann nur für maximal 1/3 seines Nachlasses ein Testament verfassen (und diesen Teil dann allerdings auch an einen Nicht-Muslim vererben).

Es sind übrigens auch Fälle bekannt, in denen die Familie eines verstorbenen Muslims, der in Europa gelebt hat, dort vor Gericht ihren "Pflichtteil" eingeklagt haben (z.B. in Deutschland).

Für die Ehepartner, die keine Muslime sind, gilt jedoch vorrangig die folgende Regelung:

Ein Muslim kann weder einem Nicht-Muslim etwas vererben, noch von ihm erben (beim Vererben betrifft dies nur die gesetzliche Erbfolge, aber nicht die oben genannten 33% "freie Verfügungsmasse" - beim Erben gilt allerdings daß ein Muslim das Erbe von einem Nicht-Muslim ausschlagen muß, auch wenn dies in der Realität wohl nicht oft geschieht).
Dies stellt in Ehen, in denen nur einer der Partner ein Muslim ist, natürlich ein Problem dar.
 
Doch es kommt noch schlimmer, denn wenn ein Paar ein Kind hat und nur der Vater ein Muslim ist, dann gilt das Kind automatisch ebenfalls als Muslim (jedes Kind eines muslimischen Vaters ist immer und automatisch ein Muslim) - und dies hat die unangenehme Folge, daß das Kind nicht von der eigenen Mutter erben kann.

Der naheliegende Gedanke, die Erbfolge etwa durch eine Bestimmung im Ehevertrag in Tunesien zu ändern, schlägt fehl, weil eine solche Bestimmung gegen die Gebräuche und Traditionen in Tunesien verstößt und damit vor einem Gericht nicht durchgesetzt werden kann.

Hier bleibt nur die Möglichkeit, schon vor dem Tode eine Eigentumsübertragung durch Schenkung oder Verkauf vorzunehmen (vorweggenommenes Erbe) und Vermögen, das sich nicht in Tunesien befindet (europäische Bankguthaben, Immobilien, etc.), durch ein getrenntes Testament in Europa zu berücksichtigen.

Übrigens - selbst in den Fällen, in denen der überlebende Partner zwar Muslim, jedoch kein Tunesier ist, ist es nicht einfach, Erbansprüche vor Gericht durchzusetzen, sofern derjenige keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für Tunesien besitzt.

In den Fällen, in denen ein Europäer einen Tunesier heiratet, sollte also grundsätzlich das Vermögen getrennt bleiben (Gütertrennung), für Vermögen außerhalb von Tunesiens ein eigenes Testament erstellt werden und zudem prinzipiell eine Erbverteilung schon vor dem Tode z.B. durch Schenkung geschehen.


Religionszugehörigkeit von Kindern

Wie bereits erwähnt, erhält jedes Kind eines muslimischen Vaters durch seine Geburt stets und automatisch die Religionszugehörigkeit "Muslim".

Als Folge werden auch Väter, die nicht konservativ-religiös sind, darauf bestehen, das Kind entsprechend dieses Glaubens zu erziehen.
Dies betrifft insbesondere die Nahrung (kein Schweinefleisch, etc.), die Beschneidung bei Jungen, die moralische Erziehung von Mädchen (Kleidung, Freunde, etc.), Befolgung der Fastenzeit, sowie, zumindest bei konservativeren Vätern, die aktive Unterweisung in islamische Glaubenslehre.

Kinder muslimischer Mütter "erben" nicht deren Glauben, ein Kind einer muslimischen Mutter und eines christlichen Vaters ist also nicht "automatisch" ein Muslim.

   

Religion in der Ehe

Obwohl Religion in Tunesien einen geringeren Einfluß ausübt, als in vielen anderen "islamischen" Ländern, sind dennoch deutliche Auswirkungen auf eine Ehe zu bemerken.

Dies sind zunächst einmal Rituale, die sich aus der Religionsausübung ergeben, wie zum Beispiel
  • Reinlichkeit vor Gebeten
  • Abstinenz von körperlichen Beziehungen tagsüber im Ramadan-Monat
oder Einschränkungen bei der Ernährung, wie zum Beispiel
  • kein Schweinefleisch
  • keine Produkte, die Alkohol enthalten
  • nach islamischer Norm ("halal") hergestelltes Fleisch

In vielen Bereichen fehlen säkulare Gesetze oder Verdeutlichungen darin und diese Lücken werden dann von Gerichten und auch vom "Menschen auf der Straße" gerne hilfsweise durch scharia-konforme Regelungen aufgefüllt.

Hierzu gehören beispielweise Vorstellungen über Gewalt in der Ehe oder die sexuelle Verfügbarkeit der Frau, doch auch Regelungen über angemessene Kleidung.

Man sieht in Tunesien neben der westlichen und der traditionellen tunesischen Kleidung in vielen Fällen beispielsweise Frauen, die Kleidung nach konservativer islamischer Tradition tragen (Hijab, Niqab).

Am Strand ist es nicht ungewöhnlich, daß die tunesischen Frauen (die übrigens oft nicht schwimmen können), sich mit Kleidung im Wasser aufhalten.
Diese Kleidung wird in Tunesien in vielen Fällen vom Manne gewünscht, und zwar auch für die weiblichen Kinder ab der Pubertät, manchmal schon vorher (beim Baden etwa).
Umgekehrt jedoch beharren auch muslimische, konservativ-religiöse, Frauen in Tunesien oft darauf, Kleidung gemäß der islamisch-traditionellen Normen zu tragen.

Und selbst wenn beide, Mann und Frau, diese Normen für sich als weniger wichtig erachten und es bevorzugen würden, sich westlich kleiden, findet dies meist nicht statt.
Denn dann würde man sich dem negativen Urteil der Familie und der Nachbarn in Tunesien aussetzen, und je konservativer und/oder traditioneller diese Gruppen sind, umso stärker ist der gesellschaftliche Druck auf "Abweichler", sich meinungskonform zu verhalten bzw. die ausgeübte "Gehirnwäsche", die es als Folge hat, sich dann auch selbst "aus eigener Entscheidung" konform verhalten zu wollen.

Zusammenfassend ist es so, daß die islamische Religion, die in Tunesien einen Anteil von etwa 99% hat, in allen Bereichen der Lebensgestaltung der Familie einen großen Einfluß hat und dies auch dann gilt, wenn die Beteiligten (Eheleute) selbst der Religion nur eine geringe, oder sogar keine, Bedeutung beimessen würden.

Hinzu kommt, daß die meisten Muslime mit fortschreitenden Alter näher an die Religion heranrücken und sich bemühen, religiöse Normen in wachsendem Umfange zu befolgen, um ihr zuvor "gottloseres" Leben zu korrigieren und später als "richtige" Moslems zu sterben (um gemäß der islamischen Doktrin damit ins Paradies einziehen zu können).

Speziell bei Männern ist dieses Verhalten beinahe typisch - was vielleicht ja daran liegt, daß sie, im Gegensatz zu den meisten Frauen, in jüngeren Jahren mehr Gelegenheit zur "Sünde" hatten und mehr "gutmachen" müssen?



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